Mittwoch, 24. Februar 2016

Arno Strobel: Die Flut

Während des Lesens mache ich mir manchmal Notizen über das Buch und nehme diese dann gern her zum Schreiben einer Rezension. Bei Arno Strobels "Die Flut" stand auf dem Zettel mehrfach ein und dasselbe Wort: spannend. Das ist dieses Buch auf jeden Fall und ich habe es kaum aus der Hand legen können.
Auf der Insel Amrum machen Julia und Michael gemeinsam Urlaub mit Michaels Arbeitskollegen Andreas und dessen Frau Martina. Andreas hat ein geerbtes Haus auf Amrum und möchte die Ferien nicht alleine mit seiner Frau verbringen. Warum das so ist, wird schnell klar und auch konsequent durch den ganzen Roman fortgeführt: Martina ist eine sarkastische, vom Leben mit Andreas genervte Ehefrau, die permanent meckert. Selbst als Leser ist man irgendwann von der Meckerei bedient und kann v.a. Julia verstehen, die ihr immer mehr aus dem Weg geht. 
Mitten im Urlaub geschehen auf einmal Morde an Pärchen auf bestialische Art und Weise. Die Frau wird am Strand bei Ebbe eingegraben, der Mann daneben gefesselt. Bei Flut ertrinkt die Frau langsam und der Mann muss hilflos dabei zusehen. Die Morde steigern sich - eine logische Konsequenz.
Die ermittelden Polizisten bieten alle Klischees auf, die zu finden waren: böser Bulle, guter Bulle, dorftrotteliger Polizist und der Hilfssheriff. Trotzdem macht es Spaß, den Ermittlern über die Schulter zu schauen und mitzurätseln.
Die Spannungen und Ängste auf der Insel und zwischen den beiden Paaren werden glaubhaft beschrieben. Der Stress, den ein freilaufender Mörder erzeugt, ist quasi spürbar. Die vielen möglichen Verdächtigen machen es dem Leser schwer, auf die richtige Lösung zukommen. Ich habe immer wieder zwischen den Verdächtigen gewechselt, alle scheinen möglich zu sein.
Kleine Schwachpunkte gibt es allerdings ebenso. Die Darstellung der Julia hat mich zusehends genervt. Zum einen ist sie so toll/schön, dass alle sie begehren und anstarren. Das erscheint mir doch etwas übertrieben. Und zum anderen erfolgt als Reaktion auf Konflikte immer wieder dasselbe - sie rennt schreiend auf die Dünen heraus. Dies ist einfach anstrengend und teilweise so unnötig. 
Wer einen Roman mit Lokalkolorit erwartet, ist hier leider nicht gut bedient. Die Insel ist als Schauplatz austauschbar und könnte jede Insel an der Nordsee sein. Typische Dinge wie lokaler Dialekt oder Traditionen sind Fehlanzeige, lokale Spezialitäten kommen am Rande vor, haben aber keinen direkten Einfluss auf die Handlung.
Das Ende des Thrillers kommt recht plötzlich und kurz, aber unerwartet und gibt daher einen schönen Abschluss. Für mich ist das Buch absolut zurecht auf den Bestsellerlisten und auf jeden Fall eine Empfehlung wert!

Andrea Sawatzki: Der Blick fremder Augen

Kein Kriminalroman im klassischen Sinne, eher ein Roman über die Psyche eines Mörders gespickt mit Ermittlungen einer Komissarin ist das neue Buch von Andrea Sawatzki "Der Blick fremder Augen". Die Komissarin Melanie Fallersleben wird mit mehreren Tötungen konfrontiert und schnell wird klar, dass es sich hierbei um einen Rachefeldzug handelt. Für den Leser wird der Täter schon früh offenbart und die Jagd - besser gesagt der Wunsch diesen Aufzuhalten - steht im Mittelpunkt. 
Beschrieben wird die Geschichte aus vielen verschiedenen Perspektiven. Hierbei werden einzelne Charaktere und Erlebnisse wiedergegeben, was aber fast nur stichpunktartig erfolgt. Ein großes, gesamtes Bild lässt sich nur von der Hauptfigur, dem Täter bilden. Und hier ist auch das erschreckenste Bild - jahrelanger Missbrauch als Kind in verschiedenen Formen prägen das Leben des Täters. Andrea Sawatzki versteht es trotz ihrer nüchternen, kurzen Sätze das Grauen für den Leser erlebbar zu machen. Man leidet mit und man rächt mit.  
Die Komissarin ist persönlich involviert und wird vom Täter mit einbezogen. Ich bin immer kein großer Fan von solchen Zufällen, aber es wird hier logisch und zurückhaltend angelegt, so dass es erträglich ist.

Spannend ist das Buch trotz der frühen Klarheit des Täters, da man wissen möchte, wie der Stop erfolgen wird und wer noch alles Opfer werden wird. Das naheliegenste Opfer trifft es dabei erst recht spät - man ist fast versucht zu sagen: Typisch, den Verursacher trifft es nicht (oder wie hier spät). 

Ich habe das Buch recht schnell gelesen, da die Kapitel sehr kurz gehalten sind, die Perspektiven schnell wechseln und der Schreibstil sehr prägnant ist. Ich kann diesen Roman empfehlen, wenn man gern etwas über die psychischen Hintergründe von Morden erfährt und weniger über das Fangen des Täters.





Freitag, 12. Februar 2016

Mark Haddon: Der wunde Punkt

Schon 2007 erschien "Der wunde Punkt" von Mark Haddon und war lange auf meiner Leseliste. Im Roman über die Familie Hall erscheint im ersten Moment nur der normale Irrsinn zu herrschen: Mutter geht fremd mit ehemaligen Arbeitskollegen ihres Mannes, Tochter will das zweite Mal heiraten, der Sohn ist schwul, womit sich die spießigen Eltern noch nicht so recht anfreunden können und der Vater wird langsam verrückt.

Der Vater Georg Hall steht im Mittelpunkt des Romans. Er entdeckt eines Tages einen kleinen schwarzen Fleck auf seiner Haut an der Hüfte und denkte sofort, dass er Krebs hat und Sterben muss. Das Naheliegenste - zum Hautarzt gehen und abklären lassen -  kommt für ihn nicht in Frage. Er steigert sich lieber in seine Furcht herein, verheimlicht es vor seiner Familie undwird von Tag zu Tag depressiver und wunderlicher. Dieses Wunderliche und die Geschehnisse rundherum die zweite Hochzeit der Tochter sind witzig beschrieben und machen den Roman kurzweilig. Über die Taten und das Verhalten des Vaters kann man teilweise sich aber nur wundern und den Kopf schütteln. Diese waren mir zu überspitzt und die Depression zu sehr ins lächerliche gezogen.

Der Roman hat alles, was einen Familienroman lesenswert macht. Er ist leicht und unterhaltsam geschrieben. An vielen Stellen kann man herzlich lachen und sich das Geschehen gut vorstellen. Das Ende lässt einen zufrieden zurück und ist schlüssig. Ein Roman über Liebe, Betrug, Krankheit, Frust, falsche Erwartungen und Scham mit viel Tragikkomik, lebendigen Personen und irgendwie skurril. Ein Lesegenuss mit nur kleinen Abstrichen aufgrund des etwas überdrehten Verhaltens des Vaters.

Erik Valeur: Das siebte Kind

Den Roman "Das siebte Kind" von Erik Valeur bekam ich ausgeliehen mit den Worten: "Ich habe es nur so 200 Seiten lang geschafft, das ist so langweilig." Dem kann man zunächst erstmal zustimmen. Das Buch umfasst ganze 800 Seiten und wenn man es geschafft hat, kann man rückblickend durchaus sagen, dass die ersten 250 -300 Seiten nichts für das Buch tun. 

Die Kurzbeschreibung des Romans auf dem Klappentext klingt sehr spannend: "September 2001: Am Strand von Skodsborg in der Nähe des renommierten Kinderheims Kongslund wird die Leiche einer unbekannte Frau gefunden. Neben ihr ein Stück Treibholz, ein toter Kanarienvogel und ein merkwürdig geknotetes Seil. Die Tote kann nicht identifiziert werden, der Fall gerät in Vergessenheit – bis sich Jahre später das Bestehen des Kinderheims zum sechzigsten Mal jährt und ein schreckliches Geheimnis mit aller Gewalt ans Licht drängt. Ein Geheimnis, das mit dem Schicksal sieben ehemaliger Waisenkinder verknüpft ist und das Dänemark bis in die höchsten politischen Ebenen erschüttern wird …"

Leider beginnt das Buch aber erst einmal mit sehr ausführlicher Beschreibung der Beteiligten aus Politik und Presse. Hierbei wird vor allem die Verflechtung und gegenseitige Beeinflussung beider Seiten betont. Das Thema Ausländer und Abschiebungspraxis wird anhand zweier Gegner - Minister für Ausländerfragen und Anwalt für die Ausländer sowie das Thema Terroranschläge anhand vom 11. September 2001 ebenso eingeflochten. So gesehen eine durchaus aktuelle Themenwahl. Der Leser fragt sich aber stetig, was das denn nun genau mit den Waisenkindern und dem Waisenhaus auf sich hat und wieso so viele verschiedene Randthemen notwendig sind.

Für mich kam erst ab Mitte des Buches Spannung auf und ab da liest es sich der Roman flüssig. Dem Leser wird schnell klar, dass die Lösung nicht so einfach ist, wie sie zunächst dargstellt wird. Die Geheimnisse aus dem Waisenhaus und damit verbunden auch die Geheimnisse der Politiker, Presse und Polizei werden nach und nach gelüftet. Ganz klar wird die Skrupelosigkeit der Beteiligten dargestellt und die Verflechtung der verschiedenen Seiten wird kritisiert.

Zusätzlich zu den vielen schon vorhandenen Themen wird noch Abtreibungsproblematik und die Theorie, dass sich Gewalttätigkeit bzw. Geisteskrankheiten vererben abgehandelt. So kann man bei einem adoptierten Kind eben nie sicher sein, ob es nicht gewalttätige Eltern hatte und dann eben auch gewalttätig wird. Mir persönlich war das nun doch zu viel, weniger Themen hätten meiner Meinung nach jedenfalls genügt. Die Grundthese, dass adoptierte Kinder verkorkste Leben haben und nicht glücklich sein können, hat mir sehr missfallen.

Die Geschichte wird aus verschiedenen Perspektiven geschrieben und um mitzurätseln muss man  aufpassen und genau lesen. Viele Personen werden ausführlich vorgestellt und einzelne Lebensereignisse beschrieben. Hier wieder das Problem für den Leser, dass man nicht immer weiß, ob diese Ereignisse für die eigentliche Geschichte und Auflösung wichtig sind oder nicht. Man muss sich daher viele kleine Sachen merken, um dann festzustellen, dass die gar nicht relevant sind. Der Verdacht, wer dahinter stecken könnte und wer welche Taten zu verantworten hat, kommt dem Leser aber doch früher oder später und die Auflösung ist keine ganz große Überraschung. Lediglich bei einer beteiligten Person war ich erstaunt, da diese vorher nicht viel Raum einnahm und dann doch sehr viel kriminelle Energie besessen hat.

Ich bin bei diesem Buch durchaus zwiegespalten. Eine klare Empfehlung ist es nicht, dafür ist zu langatmig und zu viele Nebenschauplätze. Die "Haupt"-Geschichte aber ist sehr spannend und die Auflösung hat mir gut gefallen. Wer ein geduldiger Leser ist und die ersten 300 Seiten besiegt, wird durchaus mit einem vielseitigen Roman belohnt.

Jean-Paul Didierlaurent: Die Sehnsucht des Vorlesers (e-book)

Ein kleines, aber feines Büchlein - diese Beschreibung trifft am besten auf Jean-Paul Didierlaurents Buch "Die Sehnsucht des Vorlesers" zu. 

Beschrieben wird die Geschichte zweier Außenseiter - Guylain, der in einer Papierverwertungsfirma arbeitet und Julie, die als Toilettenfrau in einem Kaufhaus ihr Leben tristet. Guylain liebt eigentlich Bücher und jede Vernichtung tut ihm weh. Er rettet täglich einige Seiten aus den aussortierten Büchern und liest diese während der morgendlichen Zugfahrt auf Arbeit vor. Eines Tages findet er im Zug einen USB Stick. Neugierig liest er das darauf gespeicherte Tagebuch von Julie. Diese beschreibt ihre Erlebnisse als Toilettenfrau wunderbar tragisch-komisch. Als Leser kann man sich ihren Arbeitsalltag bildlich vorstellen. Guylain hat sofort das Gefühl hier eine Seelenverwandte gefunden zu haben und macht sich gemeinsam mit einem ehemaligen Arbeitskollegen auf die Suche nach der Tagebuchschreiberin.

Ich habe das Buch innerhalb von einem Tag gelesen, da es tatsächlich durch die verschiedene Einschübe von anderen Büchern bzw. dem Tagebuch von Julie sehr kurz ist. Viele Seiten füllen nur kurze Ausrisse aus dem Tagebuch oder aus den anderen Büchern. Aber nicht nur die Kürze des Buches macht ein Schnelllesen möglich, sondern auch der Inhalt selbst. Man möchte einfach wissen, ob Guylain Julie findet und ob es ein Happy End geben wird. Man fliegt nur so durch die Seiten und fiebert mit, ob die Beiden, die im Leben scheinbar verloren haben, nun doch einmal gewinnen.

Dieses kleine Büchlein ist wirklich ein großer Schatz. Man kann ein paar Stunden selbst dem Alltag entfliehen und das Lesen genießen. Ich habe mitgeschmachtet und kann das Lesen wärmstens empfehlen.